Ich spüre das Adrenalin schon, bevor ich die Turnhalle des Turnvereins Langenzersdorf überhaupt betrete. Manchmal fühlt sich ein Turnwettkampf nicht wie ein Sportturnier an, vielmehr wie ein Kampf der Gefühle – ein Wettstreit der Emotionskontrolle. Heute ist einer dieser Tage. Mein Herz schlägt jetzt schon doppelt so schnell, wie es eigentlich sollte und ich werde das Gefühl nicht los, dass dieser Wettkampf anders sein wird als jeder, den ich bis jetzt erlebt habe. Es ist beängstigend, aber auch irgendwie aufregend. Fast magisch.
Das Team ist bereit. Ich bin bereit.
Oder? Bin ich wirklich bereit? Habe ich genug trainiert? Was, wenn ich alles vergesse, sobald ich auf der Matte stehe? Werde ich zittern? Was, wenn ich so sehr zittere, dass ich zusammenklappe wie ein Kartenhaus? Nein, stopp. Ich muss aufhören, so zu denken. Einfach atmen. Atmen, atmen, atmen. Cori lächelt mich an. Sonia ruft mir zu. Oder war es Katii? Es spielt keine Rolle. Das Team steht hinter mir. Sie wissen, dass ich es schaffen kann.
Ich weiß es auch. Ich werde ruhiger.
Als Thomas zum zweiten Mal mit beiden Beinen auf der Weichmatte landet, explodieren wir in ein Chaos an Farben. Er hat es geschafft. Er hat sich seiner Angst gestellt und bei einem Wettkampf am Tisch durchgehockt – genau wie ich. Ausnahmslos alle haben heute am Tisch bzw. Kasten persönliche Höchstleistungen erbracht. Die Stimmung ist genial.
Der Rest des Wettkampfs ist ein pures Auf und Ab der Gefühle.
Einige Stürze am Balken. Coris Bomben-Reckübung. Eine kaputte Schulter. Ein super (langer) Kopfstand von Hilde. Der Wackler bei einer Landung. Sonias genialer Überschlag am Tisch. Eine zu kurze Bank. Siegis Beinahe-Strecksalto. Der fast vergessene Teil einer Übung. Das Strahlen in Katiis Gesicht. Ein Bauchfleck. Mampfs 10/10-Umschwung (inklusive Kampf-Face). Ein stinkendes Handgelenk. Marion als unser Ass im Ärmel.
Eine Nacht voller Wassertrinkspiele, Happy Salmons und Winfrieds Zahnpasta später stehen wir auch schon aufgereiht vor dem Kampfgericht – semi-bereit, sie mit unserem Gesang zu berieseln. Aus Berieseln wird dann zwar eher ein begeisterter Schüttregen, aber wenigstens mit unserem sportlich-dynamischen Rabensteirer Steirischen können wir überzeugen. Spätestens beim Volkstanzfest wird klar, dass unsere Stärken eher von physischer als vokaler Natur sind – but nobody is perfect, right?
Als der Erste Wiener Turnverein bei der Siegerehrung als zweiter Platz ausgerufen wird, weiß niemand wirklich etwas mit dieser Information anzufangen. In den Gesichtern meiner Teammitglieder spiegeln sich Überraschung, Schock und Unglauben wider. Wir brauchen ein paar Sekunden, um vollkommen zu begreifen, was das für uns bedeutet. Wir haben gewonnen. Wir haben tatsächlich den verdammten Wettkampf gewonnen. Langsam breitet sich ein Grinsen auf unseren Gesichtern aus. Aus Grinsen wird Lachen. Aus Lachen wird Schreien. Gefolgt von einer riesigen Gruppenumarmung. Das lange, harte Training hat sich wirklich, endlich, so richtig ausgezahlt. Wir haben allen gezeigt, dass wir noch da sind.
Dass wir stark sind.
Ein Team.